Von dem Tisch aus, an dem ich die Tage meistens arbeite, hat man einen guten Blick auf die sechs spurige Schwere-Reiter-Straße, die mit Tram- und Bushaltestelle, einer parallel laufenden extra abgegrenzten Fahrradstraße, 2 Tankstellen in Sichtweite und einem Rewe, viel zu beobachten bietet. So ertappe ich mich im Laufe meiner von Arbeit ausgefüllten Nachmittage mindestens jede halbe Stunde dabei, wie ich mich im Geschehen des, grob überschlagen, 55 Meter breiten Straßenraums verliere und mit Leuten die zur Tram rennen mitfiebere, oder bewerte, ob jemand zurecht angehupt wurde oder nicht. Ich schüttle aus dem vierten Stock herunter den Kopf über Leute die vor Kindern über Rot schlendern und überlege, ob die klassische Lehel - Mutti mit ihrem Lastenfahrrad grade unterwegs ist, ihren Ferdinand-Nepomuk aus dem internationalen Waldorf Kindergarten abzuholen. Neulich wurde ich besonders erfolgreich von einem Teenager abgelenkt, der fest entschlossen schien skaten zu lernen. So war er diese Woche dreimal am skaten während ich gearbeitet habe. Es war beinahe Highlight meines Tages, als er am dritten Tag den ersten Kickflip gestanden hat.
Wenn man durch die Sraßen spaziert und explizit darauf achtet, fällt auf wie viele Skater den Straßenraum in Anspruch nehmen, da alle Skateparks gesperrt sind. Die Menschen weichen aus und adaptieren sich an die neuen Gegebenheiten, bestrebt ihre Gewohnheiten in der Freizeitgestaltung beizubehalten, auch wenn die konkrete Umsetzung anders aussieht. Inlineskates die das letzte Mal 2005 benutzt wurden, werden wieder ausgegraben, da Sportstätten wie Fitnessstudios, oder Kletter- und Tennishallen geschlossen sind, die für viele Menschen in den Alltag gehören. Kinder spielen auf der Straße, nicht auf dem Spielplatz. Menschen machen mehr Picknicks, da Biergärten und Restaurants zum auswärts Essen geschlossen haben. Die Not macht erfinderisch und führt zu Gewohnheiten, die nach Rückkehr zur Normalität bestimmt teilweise beibehalten werden.
