Auch für Unternehmen, die nicht mit den Voraussetzungen für ein effektives Supply Chain Management aufwarten können und insofern auf Schwierigkeiten bei der Durchsetzung dieser Strategie stoßen würden, besteht dennoch die Möglichkeit, viele Vorteile des Supply Chain Managements zu nutzen, wenn auch in etwas veränderter Form. Als Alternative bietet sich hier eine Optimierung der gesamten Wertschöpfungskette durch die so genannte Supply Chain Collaboration (SCC).

Anerkannte Definitionen für SCC gibt es bisher nur wenige. Da diese Strategie aber noch nicht annähernd den Bekanntheitsgrad von SCM erreicht hat, soll hier zumindest eine kurze Erklärung gegeben werden:

Eine Kollaboration ist eine zielgerichtete, problemlösungsorientierte Zusammenarbeit in einem Unternehmensnetzwerk. Der Leitgedanke ist die unternehmens-übergreifende, gemeinsame Optimierung der Prozesse und Arbeitsabläufe. Jeder Partner behält seine unternehmerischen Handlungsspielräume und wird nicht zentralistisch dominiert. Teilnehmer werden in Echtzeit miteinander verbunden, um Entscheidungen zeitnah und direkt zu treffen.

Die Bezeichnung Kollaboration in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes beschreibt genau die Kernaussage von SCC: Eine partnerschaftliche und vor allem freiwillige Zusammenarbeit gleichberechtigter Partner entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Unterschiede von SCC zu SCM

Im Gegensatz zum SCM basiert die Strategie der Supply Chain Collaboration auf der Überlegung, dass nicht durch diese Steuerungsstelle, sondern nur durch freiwillige Kooperation der sehr unterschiedlichen Partner eine Optimierung wesentlicher Prozessparameter erreicht wird. Die Umsetzung erfolgt nicht schlagartig, sondern wird auf freiwilliger Basis und über einen längeren Zeitraum hinweg von allen Beteiligten selbst übernommen. SCC setzt vor allem auf das Eigeninteresse und die Eigeninitiative der Prozessbeteiligten.

Der Leitgedanke ist auch hier eine unternehmensübergreifende, gemeinsame Optimierung der Prozesse und Arbeitsabläufe, die sich durch eine zielgerichtete und problemlösungsorientierte Zusammenarbeit realisieren lässt. Der Fokus liegt dabei auf der operativen Steuerung von Lieferbeziehungen. Innerhalb von vereinbarten Handlungsspielräumen agieren selbststeuernde Regelkreise vollkommen eigenverantwortlich.

Die zentrale Steuerungsinstanz wird durch viele kleinere, dezentrale Instanzen ersetzt, die für die ihnen unterstellten Abläufe selbst verantwortlich zeichnen, Möglichkeiten zur Optimierung bereitstellen und nur die Daten verwalten, deren Qualität sie beurteilen können bzw. die sie selbst berücksichtigen müssen. Daraus ergeben sich mehrere dezentrale Organisationsstrukturen in transparenten Regelkreisen, die sich an ihren Schnittstellen überlappen und nur die Daten bekannt machen bzw. von ihren Prozesspartnern erhalten, die zur Planung und Steuerung des jeweiligen Regelkreises erforderlich sind. Eine globale Bereitstellung aller Daten für alle Beteiligten ist nicht mehr erforderlich.

Somit ist eine langfristige Zusammenarbeit bei SCC nicht unbedingt verpflichtend, wird aber natürlich weiterhin angestrebt. Die Implementierung und Etablierung der benötigten Systeme kann schneller bewerkstelligt werden, so dass hier eine Kooperation auch mit indirekten Lieferanten einfacher möglich ist. Diese kann sowohl vertikal entlang der Wertschöpfungskette, als auch horizontal, also zwischen mehreren Lieferanten aus verschiedenen Supply Chains, erfolgen.

Auch die beim Supply Chain Management oftmals auftretenden Ein- und Austrittsbarrieren sind hier viel geringer gehalten, da die Infrastruktur meist durch eine dritte Partei, wie z. B. einen Logistikdienstleister mit eigenem Lager oder einen Spediteur für die Transportabwicklung, bereitgestellt wird und somit die Kosten vor allem für die Lieferanten relativ gering gehalten werden können.

Zwar gelingt es beim Einsatz von Supply Chain Collaboration einige Schwierigkeiten des klassischen Supply Chain Managements zu umgehen, doch können hiermit natürlich auch nicht alle Vorteile gänzlich genutzt werden.

Der Ansatz, die gesamte Wertschöpfungskette einheitlich zu optimieren, entfällt bei SCC natürlich, da die zentrale Instanz, die die gesamte Supply Chain überschauen könnte, nicht mehr vorhanden ist. Somit kann zwar kein Gesamtoptimum erreicht werden, jedoch Teiloptima in den jeweils betrachteten Geschäftsprozessabschnitten. Ob die Summe dieser Teilnutzen tatsächlich geringer ist, als der ansonsten erreichbare Gesamtnutzen ist noch nicht nachzuweisen, da hierüber bis jetzt keine aussagekräftigen Studien existieren.

Einen weiteren Nachteil stellt der längere Zeitbedarf zur Einführung und Umsetzung von SCC dar. Da diese Strategie auf rein freiwilliger Kooperation und Eigeninitiative der Prozesspartner beruht, kann sie niemals in der Zeit implementiert werden, wie das klassische, von oben diktierte Supply Chain Management. Profite durch die Optimierung der Prozesse kommen hier also erst später zum Tragen.

Ausprägungen von SCC

In der Praxis haben sich mittlerweile verschiedene Varianten der Supply Chain Collaboration ausgebildet. Zur Beurteilung und Einordnung der Zusammenarbeit sind vor allem zwei Kenngrößen ausschlaggebend.

Zum einen verwendet man die Kooperationsbreite, die die "horizontale" Ausdehnung der SCC beschreibt. Ist sie hoch, so bedeutet dies, dass die Prozesspartner in vielen Bereichen, beispielsweise sogar in der Entwicklung bis hin zur Transport- und Absatzplanung zusammenarbeiten. Der zweite Kennwert ist die so genannte Kooperationstiefe, die Aussagen über die "vertikale" Ausdehnung der SCC zulässt. In einer Partnerschaft gilt sie als ausgeprägt, wenn die Beteiligten ihre Kooperation bis in Details aufeinander abstimmen, also zum Beispiel "gemeinsam Spediteure aussuchen, Transportmittel festlegen, Ladehilfsmittel gestalten und Warenausgangs- und Eingangszeiten aufeinander abstimmen".

Je nach Intensität dieser beiden Parameter lassen sich vier Grundtypen der Supply Chain Collaboration bilden [1]. Bei einer Zusammenarbeit mit niedriger Kooperationsbreite und -tiefe werden die nur geringfügig aufbereiteten Daten auf einem elektronischen Marktplatz oder Portal den übrigen Prozesspartnern zur Verfügung gestellt. Zwar werden die Formate der ausgetauschten Informationen einheitlich festgelegt, der Zugriff und die Verwendung allerdings ist absolut freiwillig. Diese Art der Kooperation eignet sich vor allem bei wenig ausgeprägten Geschäftsbeziehungen oder einer nur kurzfristig angelegten Kooperation.

Bei einer hohen Kooperationsbreite mit gleichzeitig geringer -tiefe werden die Daten und Informationen nicht nur bereitgestellt, sondern auch analysiert und entsprechend ausgewertet. Die entsprechenden Ergebnisse stehen zu einer weiteren Verbesserung des Optimierungsprozesses zur Verfügung. Die Zusammenarbeit erstreckt sich hier über mehrere Geschäftsbereiche. Die Nutzung der Daten bleibt weiter freiwillig, oft sollen Kommunikationsforen Möglichkeit zur Diskussion bieten. So können Probleme und Risiken frühzeitig erkannt und schnellstmöglich gehoben werden. Diese Form der SCC findet sich meist in der Startphase der Kooperation, wenn zuerst nur einige Einzelheiten festgelegt werden, um den Implementierungsaufwand zu Beginn geringer zu halten.

Im Gegenzug existiert eine Ausprägung mit geringer Kooperationsbreite und hoher -tiefe. Hier soll die Zusammenarbeit nur in wenigen Geschäftsbereichen erfolgen, die von Anfang an streng abgesteckt sind. Innerhalb dieser Bereiche allerdings werden klare und detaillierte Vereinbarungen getroffen, die auf eine gemeinschaftliche Prozessoptimierung ausgelegt sind. Meist verwendet man sogar zuvor festgelegte Kennwerte, um die Effizienz der Optimierungsmaßnahmen verfolgen und bewerten zu können. Ähnlich wie bei vorigem Typ kann auch diese Form eine Übergangslösung darstellen, um zuerst auf einem Gebiet zu testen, ob die Kooperation Erfolg versprechend ist. Sie kann aber auch in dieser Art bestehen bleiben, wenn die Prozesspartner sich auf eine Zusammenarbeit in wenigen Bereichen beschränken wollen.

Der letzte Typ der SCC zeichnet sich durch sowohl hohe Kooperationsbreite, als auch -tiefe aus. Einheitliche Standards für sämtliche Prozesse und Daten werden hier für das gesamte Netzwerk gemeinsam festgelegt. Bei dieser engsten Form der Kooperation ist es besonders wichtig vorab die gemeinsamen Ziele genau zu definieren, um spätere Abstimmungsprobleme zu vermeiden. So entsteht ein Verbund aus selbständigen und vor allem selbststeuernden Regelkreisen, die dezentral und selbstverantwortlich für die ihnen zugeteilten Aufgaben Entscheidungen treffen können. Diese Art der Kooperation eignet sich am besten für langfristige und enge Geschäftsbeziehungen, in denen Vertrauen und Akzeptanz bereits vorausgesetzt werden können.

Voraussetzungen für die Implementierung von Supply Chain Collaboration

Für eine Umsetzung und Realisierung von Supply Chain Collaboration müssen eigentlich außer gemeinsamen Daten- und Informationsstandards sowie der allseitigen Bereitschaft zur Kooperation nur wenige Voraussetzungen erfüllt sein. Entscheidender ist es hier allerdings die wesentlichen Faktoren zu kennen, die den Optimierungserfolg bei der Implementierung entscheidend beeinflussen oder gar schmälern können:

  • Eindeutige Zieldefinitionen
  • Klare Bereichsabgrenzung
  • Konsequente Abgleichung der Optimierungsprozesse

Gerade weil eine Supply Chain Collaboration nicht die strengen Rahmenbedingungen des Supply Chain Managements aufweist, ist es umso wichtiger, vorab die angestrebten Ziele gemeinsam und eindeutig festzulegen, da bei einer freiwilligen Zusammenarbeit unterschiedliche Auffassungen und mangelnde Abstimmung weitaus größere Konsequenzen nach sich ziehen können. Gerade weil hier keine zentrale Stelle die Organisation der Supply Chain übernimmt, ist ein Zusammenführen und Abgleichen der Einzelorganisationen von großer Bedeutung.

Zudem müssen die Gebiete und Potenziale genau definiert werden, die sich besonders für Optimierungen eigenen, um auch einen erreichbaren bzw. bereits erreichten Nutzen sowohl qualitativ, als auch quantitativ feststellen zu können. Da sich die Wertschöpfungskette bei der SCC aus vielen selbständigen Regelkreisen zusammensetzt, ist es für einen reibungslosen und schnellen Ablauf der Prozesse unumgänglich, die Kompetenzen und Verantwortungsbereiche der einzelnen "Stationen" anzuerkennen und einzuhalten.

Einer der entscheidensten Faktoren für einen nachhaltigen Optimierungserfolg ist allerdings eine konsistente und vor allem kontinuierliche Abstimmung aller Beteiligten, die nur mit steter Kommunikation und Gedankenaustausch erreicht werden kann. Nur wenn die Kooperation als wirkliche, gleichberechtigte Zusammenarbeit verstanden wird, kann eine SCC dauerhafte und erfolgreiche Optimierungen realisieren.

Quelle:

[1] Rinza, T.: Supply Chain Collaboration, Freiwillige Kooperation statt SCM Komplettoptimierung

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