SEGELTHEORIE & HINTERGRÜNDE                 


Jeder Kursleiter sollte sich im Klaren sein, dass er nicht mit seinem Wissen in der Segeltheorie glänzen sollte, sondern die wichtigsten Themen so darstellen muss, dass es auch naturwissenschaftlich nicht so Begabte verstehen. Dies ist ein schmaler Grat, der sich am besten mit „So viel wie nötig und so wenig wie möglich“ beschreiben lässt. Das bezieht sich nicht nur auf die Stofffülle, sondern auch auf die Tiefe, mit der einzelne Themen vermittelt werden. Der Kursleiter benötigt für den Unterricht die Fähigkeit, bewusst Ungenauigkeit zuzulassen, wo sie hilfreich ist und gezielt Details weg zulassen, die verwirren oder überfrachten. (Viele physikalische Formeln, die wir in der Schule als Gottgegeben hingenommen haben, sind nur Näherungen eines wesentlich komplexeren Sachverhaltes. Und obwohl wir diesen i.d.R. nicht kennen, führen wir damit ein angenehmes Leben.)

Wichtig ist es, die Kursteilnehmer gerade bei diesen theoretischen Blöcken aktiv zu beteiligen. Eine reine Vorlesung führt häufig nur zum Abschalten bei den Zuhörern. Sehr bewährt hat sich auch immer wieder, den praktischen Bezug herzustellen. Modelle, Bilder, Zeichnungen, Folien und evtl. Videos können dabei auch helfen. (z.B. ”Der scheinbare Wind wird auf Vorwindkurs schwächer. Das habt Ihr sicher schon alle selbst bemerkt!“)

1. Ausweichregeln

Um den defensiven Charakter des Segelns zu betonen, wird immer nur von den Ausweichregeln gesprochen werden.

Für die Segelkursteilnehmer ist folgendes ausreichend:

  • Das Boot mit Wind von Backbord muss einem Boot mit Wind von Steuerbord ausweichen.
  • Haben die Boote den Wind von der gleichen Seite so gilt, dass das luvwärtige dem leewärtigen ausweichen muss.
  • Generell gilt, klar achteraus weicht klar voraus.

Diese Ausweichregeln sind immer wieder zu erwähnen, auch sollen die Mannschaften dazu angehalten werden, die Regeln an so viele realen Situationen wie möglich gegenseitig abzufragen.

Es muss auf folgende Ausweichsituationen zwischen verschiedenen Booten eingegangen werden (Ausweichpflicht von oben nach unten) [2, § 42]:

  • Fahrgastschiffe
  • Berufsfischer
  • Segelboote / Windsurfer
  • Ruderboot / SUPs
  • Motor- und Elektroboot

Ggf. gesondert erläutern: Polizei / Rettung im Einsatz und Segelboote in einer Regatta (bei Bedarf und wenn Zeit).

Bei Flaute müssen im Geltungsbereich der bayerischen Schifffahrtsordnung alle Fahrzeuge den Segelfahrzeugen ausweichen! [2, § 42.3 2. Satz]

Manöver des letzten Augenblicks:

Für den Fall, dass das ausweispflichtige Fahrzeug nicht oder zu spät ausweicht, muss das vorfahrtsberechtigte Fahrzeug ein „Manöver des letzten Augenblicks “ einleiten, um einen Zusammenstoß unbedingt zu vermeiden!

Der Kurshaltepflichtige muss dabei immer in Fahrtrichtung des Kollisionsgegners abdrehen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Das Manöver des letzten Augenblicks soll so ausgeführt werden, dass es selbst dann nicht zur Kollision kommen kann, wenn der Ausweichpflichtige im letzten Moment doch noch ausweichen sollte.

Merke: Ein Manöver des letzten Augenblicks muss immer noch zur Vermeidung einer Kollision führen.

2. Wind

2.1. Wahrer, Fahrt- und scheinbarer Wind

Anschaulich darstellen: Etwas Wind ist nötig. Mit einem Verklicker in der Hand auf den Steg stellen und los laufen sofort wird der Scheinbare Wind angezeigt.

Anschließend gilt es, das Zusammenspiel der drei Windarten auf den unterschiedlichen Kursen - beispielhaft auf hohem Amwindkurs, Halbwindkurs und Vorwindkurs - zu erklären. Dabei bei allen Beispielen vom gleichen wahren und Fahrtwind ausgehen, auch wenn dies nicht der Realität entspricht (Dies sollte in einem Nebensatz auch kurz erwähnt werden, dass der gleiche wahre Wind auf verschiedenen Kursen verschiedene Geschwindigkeiten (=Fahrtwinde) erzeugt.). Es ermöglicht aber dem Schüler ein besseres Verständnis der Veränderungen des Systems bei unterschiedlichen Kursen. Der Begriff der Vektoraddition sollte, wenn noch nicht erfolgt, eingeführt werden. Bei jedem Zeichnen des Fahrtwindes sollte der Zusatz „der entgegen der Bewegungsrichtung weht“ (Er wird als „entgegen wehend“ gefühlt, obgleich sich z.B. bei Windstille ein Objekt (das geschleppte Boot) oder eine Person durch eine ruhende Luftmasse bewegt wird und dann die Luft als „Wind“ empfindet. Bei einem vorhandenen ”wahren“ Wind wird es dann schwierig zu bestimmen, welche Anteile dem „ruhenden“ Fahrtwind und dem wahren Wind zuzuordnen sind. Das ist dann schon mehr philosophisch....)  fallen, außerdem sollen die Schüler erarbeiten, wie sich der scheinbare Wind im Verhältnis zum wahren Wind geändert hat.

2.2. Amwindkurs

Als Beispiel für Fortgeschrittene für das Zusammenspiel der Vektoren kann hier der Unterschied zwischen klassischen Ein- und Mehrrumpfbooten dienen (Bsp. Kat vs. Pirat), da in einer analogen Zeichnung gezeigt werden kann, dass die Mehrrumpfboote wegen des geringeren Wasserwiderstandes zwar einen höheren scheinbaren Wind und damit höhere Geschwindigkeiten erzielen können, diesen Vorteil aber mit einer geringeren Höhe bezahlen (gilt teils für neuere Einrumpfjollen nicht mehr. Motten etc. sind ggf. schneller als Kats).

Dass sich nach dieser Vorstellung Fahrt- und scheinbarer Wind gegenseitig ins Unendliche aufschaukeln würden, sofern der Wasser- und Luftwiderstand unberücksichtigt bleibt, sollte der Kursleiter im Hinterkopf behalten, auch wenn dieser Sachverhalt von den Teilnehmern i.d.R. nicht erkannt wird.

2.3. Halbwindkurs

2.4. Vorwindkurs

3. Luv- und Leegierigkeit

Es gibt eine konstruktive oder auch durch den Mastfall o.ä. hervorgerufene Ablenkung vom gesteuerten Kurs, die hier als statische Lee- oder Luvgierigkeit bezeichnet wird.

Die dynamische Lee- oder Luvgierigkeit ergibt sich aus der Krängung des Bootes, durch die Segelstellung oder auch Fieren oder Dichtholen. D.h. dies sind „Trimmänderungen“, die sehr schnell und durch einfachstes Handeln erzielt werden können.

Statische Gierigkeit

Ein Regattaboot ist meistens neutral getrimmt. Neutral bedeutet, dass der Steuermann die Pinne loslassen kann und das Boot wird unbeirrt geradeaus weitersegeln.

Manchmal ist es wünschenswert, dass das Boot eine leichte Luvgierigkeit hat. Diese führt dazu, dass man zum einen beim Segeln auf geradem Kurs an der Pinne „etwas fühlt“ (Ruderdruck hat). Zum anderen wird das Boot, sobald man die Pinne loslässt, in den Wind hinein drehen und so abstoppen. Dies ist ein Sicherheitsaspekt, der nicht zu vernachlässigen ist. Die Piraten am Segelzentrum sind alle in dieser Weise getrimmt.

Konstruktiv liegt der Segeldruckpunkt, sofern das Schiff richtig konstruiert ist, immer vor dem Lateraldruckpunkt. Wenn die Luftkräfte und Wasserkräfte in der Draufsicht auf einer Linie liegen, ist der erwähnte normale Trimm erreicht. Befindet sich z.B. der Segeldruckdruckpunkt weiter vorn, weil der Mast nach vorne verschoben (c) oder gekippt worden ist oder das Schwert ist teilweise hochgezogen und der Lateraldruckpunkt ist dadurch nach hinten verlagert worden, so liegen diese Kräfte nicht auf einer Linie und das Boot wird einen leegierigen Trimm bekommen. 

Damit sind schon die Trimmmöglichkeiten für eine statische Lee- oder Luvgierigkeit auf den Piraten genannt.

Hintergrundinformation:
In Tabelle 1 sollen die Veränderungen und ihre Auswirkungen gezeigt werden. Es wird immer nur von einer Veränderung ausgegangen. Tatsächlich können sich durch Überlagerungen Verstärkungen oder Abschwächungen ergeben.

Mast nach vorne kippen oder das ganze Rigg nach vorne verlagern

Boot wird leegierig

Schwert nach hinten verschieben (bei Rennjollen z.T. möglich) oder etwas aufholen

Boot wird leegierig

Mast nach hinten kippen oder das ganze Rigg nach hinten verlagern

Boot wird luvgierig

Schwert absenken oder nach vorn verschieben

Boot wird luvgierig

Eine weitere Möglichkeit wäre, alle Gewichte im Schiff nach vorn oder hinten zu verlagern. Auch dies hätte eine Auswirkung auf den Trimm und Lee- oder Luvgierigkeit.

Bei den Booten des Segelzentrums sind die oben genannten Möglichkeiten sehr stark eingeschränkt. Allein durch das Aufholen des Schwerts kann in Maßen der Trimm beeinflusst werden.

Dynamische Gierigkeit

Ganz anders sieht es bei der „dynamischen“ Luv- und Leegierigkeit aus. Wird das Boot „aufrecht“, d.h. völlig ohne Krängung gesegelt, so hat man den erwähnten neutralen Trimm oder eine ganz leichte konstruktive vorgesehene Luvgierigkeit. Nebenbei hat man als Jollensegler auch ein besseres aufrichtendes Moment, wenn das Boot „aufrecht“ gesegelt wird.

Sobald das Boot anfängt zu krängen, wird die Segelkraft weiter nach außen verlagert und es entsteht nicht nur ein krängendes Moment, sondern die Segelkraft hat nun eine wirksamen Hebel, um das Boot um seinen Massenschwerpunkt in den Wind zu drehen Auf der Luvseite taucht der Rumpf teilweise aus, hat also weniger Widerstand. An seiner Leeseite taucht er tiefer ein, der Rumpf fährt auf einer gekrümmten Kante, obendrein wird nach Finckh [15, S. 58] der Bug bei Krängung an der Leeseite vom Wasser nach Luv weggedrängt. All dies führt zu einer Drehung in den Wind.

Um dieser Luvgierigkeit Herr zu werden, wird man mehr oder weniger stark Ruder legen müssen. Dies führt zum Abbremsen des Bootes.

Eine verstärkte Leegierigkeit erzielt man durch verstärkte Krängung der Jolle nach Luv. Geschickte Segler können so ein an sich leicht luvgieriges Schiff neutral trimmen. Fortgeschrittene können durch deutliche Luvkrängung ohne bewusstes Ruderlegen ein Abfallen einleiten. Gern wird dieser Effekt auch benutzt, um ohne Legen des Ruders und damit ohne zu bremsen eine Halse einzuleiten.

Der Regattasegler macht sich die Steuerwirkung durch eine Leekrängung für die Rollwende sowie die Luvkrängung bei der Rollhalse ebenfalls zu Nutze.

Für das Bewusstmachen der Lee- und Luvgierigkeit könnte z.B. auf Halbwindkurs zunächst nur die Fock gefiert werden, danach wieder dichtgeholt und anschließend das Großsegel komplett aufgefiert werden. Sofern das Ruder mit „ganz leichter Hand“ geführt wird, werden die Segelschüler die Wirkungen des „Umtrimmens“ erfahren.

Zusammenfassung:

Liegt der Segeldruckpunkt vor dem Lateraldruckpunkt ist das Boot Leegierig

Liegt der Segeldruckpunkt hinter dem Lateraldruckpunkt ist das Boot Luvgierig

Liegt der Segeldruckpunkt in Lee vom Lateraldruckpunkt ist das Boot Luvgierig

4. Umsetzung der Windkraft in Vortrieb

4.1. Vortriebssegeln nach Bernoulli

Die Erklärung des entstehenden Vortriebs nach Bernoulli, das gerne an Hand eines Flugzeugflügels erklärt wird, ist falsch! Der richtige physikalische Hintergrund (Abschnitt 4.4.2) einem Segelschüler zu vermitteln kann allerding auch oft verwirren. Ggf. Hinweis auf SLP alpha geben (S.96).

4.2. Vortriebssegeln nach Prantl

Zu diesem komplexen Thema sei auf den Segellehrplan Alpha [7, S. 96] verwiesen, aus dem auch die nachfolgenden Daten entliehen wurden. Das dort vermittelte Wissen überschreitet allerdings den Rahmen des normalen Theorieunterrichts.

Allerdings kann im Zusammenhang mit der bei wenig Wind geforderten langsamen Bewegung der Mannschaft im Boot auf Folgendes eingegangen werden:

  • Damit sich das Boot auf Amwindkurs fortbewegen, muss sich eine zirkulierende Luftströmung aufbauen.
  • Dieser Aufbau dauert beim Piraten bei fünf Bft. ca. drei Sekunden, bei zwei Bft. aber schon rund 10 Sekunden. 
  • Somit bedeutet ein Strömungsabriss am Segel durch heftige Bewegungen der Mannschaft eine mit sinkender Windgeschwindigkeit wachsende „Wartezeit“, bis die Strömung und damit der Vortrieb wieder einsetzt.

4.3. Widerstandssegeln

Beim Segeln durch Widerstand - normalerweise nur auf Vorwindkurs möglich - wird das Segel nicht mehr laminar angeströmt, sondern steht quer zum scheinbaren Wind. In der Folge kommt es zu einem Umströmen in wechselnder Richtung; mal ums Achterliek, mal ums Vorliek herum (ähnlich einem Blatt, das vom Baume herunter segelt. Es wird nicht geradlinig fallen, sondern hin-und herschwingen, je nachdem, in welcher Richtung es der Luft ausweicht). Beim Piraten sehr selten, bei Lasern eher öfters, entwickelt sich durch wechselndes Umströmen ein Aufschaukeln um die Längsachse des Bootes, auch „Geigen“ genannt. Meist kommt es durch das „Geigen“ sehr rasch zu einer Luvkenterung der Jolle, sofern nicht schnell und energisch Gegenmaßnahmen ergriffen werden.

4.4. Segelstellung - Vortrieb kontra Querkraft

Zerlegung der Kräfte am Segel in Vortrieb und Querkraft. Negativer Einfluss von zu dichter Segelstellung (mehr Kraft in Krängung, weniger in Vortrieb, Strömungsabriss am Segel). 

Die nachfolgenden Hinweise gelten für das Segeln im sog. „Auftriebsbereich“, also nicht für Kurse des sog. „Widerstandssegelns“ (z.B. auf Vorwindkursen).


4.5. Gleit- und Verdrängerfahrt

Unter einem Verdränger versteht man ein Boot, das sich zu jeder Zeit mit dem größten Teil seines Unterwasserschiffes im Wasser befindet und dieses verdrängt. Das Gegenteil von Verdrängern sind Boote, die durch die Rumpfform begünstigt sich mit zunehmender Geschwindigkeit aus dem Wasser heben und anfangen, darauf zu gleiten. 

Verdrängerfahrt

In Verdrängerfahrt ist man, wenn man Rumpfgeschwindigkeit hat (das Boot liegt genau in einer Wellenlänge, d.h. die Bugwelle ist am Bug und die Heckwelle ist am Heck zu sehen) oder langsamer fährt (mehrere Wellen sind entlang des Rumpfes zu beobachten). Die theoretisch maximale Rumpfgeschwindigkeit ergibt sich aus der Formel: Wurzel aus Wasserlinienlänge in Metern x 2,43 = Geschwindigkeit in Knoten.

Gleitfahrt

Bei Gleitfahrt hat man einen sauberen Strömungsabriss, der Bug ist frei, man reitet auf der Bugwelle auf oder lässt sie sogar hinter sich zurück. Bug- und Heckwelle liegen weit über eine Bootslänge auseinander. Über ein Messen der Distanz zwischen den Gipfeln der Bugwelle und der Heckwelle könnte man die Geschwindigkeit bestimmen. Bei Gleitfahrt kann eine erheblich über der maximalen Rumpfgeschwindigkeit liegende Geschwindigkeit erzielt werden.

Ins Gleiten können nur dafür geeignete Jollen und Yachten geraten. Ein Merkmal ist z.B. ein breit ausgeformtes Unterwasserschiff im hinteren Teil des Rumpfes.

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