Mi. 05.05.2021 18:15 Uhr Datenschutz im Gesundheitssystem: Hindernis oder Notwendigkeit in PandemiesituationProf. Dr. med. Martin Boeker MMELehrstuhl für Medizinische Informatik Prof. Dr. med. Alena BuyxDirektorin des Instituts für geschichte und Ethik der Medizin Prof. Dr. Dirk HeckmannLehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung, TUM School of Governance | May 5, 2021, 06:15 p.m. Data Protection in the Pandemic: An Impediment or a Necessity?Professor Martin Boeker MMEChair of Medical Informatics Professor Alena BuyxDirector of the Institute of History and Ethics of Medicine Professor Dirk HeckmannChair of Law and Security in Digital Transformation, TUM School of Governance |
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Moderation: Univ.-Prof. Dr. med. Marion Kiechle
Gesundheitsdaten sind wichtig zur Steuerung der Pandemiebekämpfung
Am 5. Mai halten Martin Boeker, Professor für medizinische Informatik, Alena Buyx, Professorin für Ethik der Medizin und der Gesundheitstechnologien sowie Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, und Dirk Heckmann, Professor für Recht und Sicherheit der Digitalisierung, gemeinsam die Covid-19 Lecture zum Datenschutz im Gesundheitswesen. Im Vorfeld erklären Martin Boeker und Dirk Heckmann, welche Rolle Gesundheitsdaten in der Pandemie spielen.
Welche Rolle spielen Gesundheitsdaten in der Pandemie?
Heckmann: Gesundheitsdaten sind wichtige Informationen zur Beobachtung des Infektionsgeschehens und Steuerung der Pandemiebekämpfung. Dazu zählen etwa eine festgestellte Infektion mit Sars-CoV-2, eine Covid-19-Erkrankung einschließlich ihrer Symptomatik, aber auch Impfreaktionen. Je mehr solcher Daten wir haben und je präziser sie sind, um so wirksamer sind auch die auf dieser Datenbasis ergehenden Maßnahmen.
Inwieweit ist Datenschutz ein Hindernis?
Heckmann: Datenschutz ist überhaupt kein Hindernis für die Pandemiebekämpfung. Denn die Erhebung und Verarbeitung der hierfür erforderlichen Daten nach der Datenschutzgrundverordnung ist erlaubt, gegebenenfalls nach Anonymisierung. Hinderlich ist eher eine falsche Berichterstattung über vermeintliche Datenschutzrisiken – wie etwa bei der Corona-Warn-App. Eine solche Berichterstattung hält Menschen davon ab, sinnvolle Instrumente zu nutzen.
Boeker: Oft wird hier ein Scheinwiderspruch aufgebaut. Aber: Bei modernen IT-Systemen wird für den Schutz der Persönlichkeitsrechte entsprechend des Datenschutzes ein erheblicher Teil der Entwicklungskosten aufgebracht – gut investiertes Geld! Der Datenschutz wird häufig als Sündenbock missbraucht, wenn ein IT System nicht das leistet, was man sich von ihm versprochen hat. Meist liegt jedoch eine mangelhafte Anforderungsanalyse zugrunde.
Wie können Datenschutz und Pandemiekontrolle unter einen Hut gebracht werden?
Heckmann: Datenschutz fordert Transparenz und die plausible, verständliche Erklärung, welche Daten zu welchem Zweck gebraucht und verwendet werden. So soll eine missbräuchliche Datennutzung abgewendet werden. Das ist nicht trivial, aber gut zu leisten, wenn man hier fachliche Expertise und professionelle Öffentlichkeitsarbeit verbindet. Nicht Datenschutz, sondern Desinformation schadet der Pandemiebekämpfung.
Boeker: Vorbereitung ist wichtig! Wir sollten aus dem lernen, was wir in der Pandemie erfahren haben und uns für ein eventuelles nächstes Mal besser vorbereiten.
Professor Martin Boeker MME
Martin Boeker arbeitet seit über 20 Jahren in verschiedenen Bereichen der Medizinischen Informatik und der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Er beschäftigt sich dort u. a. mit medizinischen Informationsmodellen und semantischer Datenintegration, medizinischen Terminologien und Ontologien, der maschinellen Verarbeitung klinischer Texte und dem Information Retrieval. Er ist Standortkoordinator des BMBF geförderten DIFUTURE-Konsortiums und leitet das Datenintegrationszentrum am Klinikum rechts der Isar.
Martin Boeker ist im März 2021 auf den Lehrstuhl für Medizinische Informatik an der Technischen Universität München ernannt worden. Zuvor war er seit 1999 am Universitätsklinikum Freiburg in der Medizinischen Informatik beschäftigt, die er seit 2010 auch leitete. Von 2013 bis 2020 war er auch Leiter des Klinische Krebsregister am Tumorzentrum Freiburg (CCCF). Seine wissenschaftliche Karriere hat er zunächst als Doktorand 1989 in der Abteilung für Immunologie und ab 1994 als Assistent in der Abteilung für Funktionelle Anatomie an der Medizinischen Hochschule Hannover begonnen. Er ist als Arzt approbiert und hat weitere Abschlüsse in Informatik (MCSc) und Medizindidaktik (MME).
Professor Alena Buyx
Die Arbeitsgebiete von Prof. Dr. med. Alena Buyx reichen von medizinethischen Fragen aus der klinischen Praxis über Herausforderungen durch biotechnologische Innovation und medizinische Forschung bis hin zu ethischen und Gerechtigkeitsfragen in modernen Gesundheitssystemen. Sie verfolgt dabei einen interdisziplinären Ansatz von „embedded ethics“ und kollaboriert mit klinischen Kollegen ebenso wie mit Kollegen verschiedener anderer Fachrichtungen. Alena Buyx ist Mitglied verschiedener nationaler, internationaler und universitärer Gremien, berät regelmäßig große internationale Forschungskonsortien und ist nachgefragte Rednerin und Expertin für Medienauftritte. Seit 2016 ist sie Mitglied des Deutschen Ethikrats und im Jahr 2019 wurde sie in das WHO Expert Advisory Committee on Developing Global Standards for Governance and Oversight of Human Genome Editing aufgenommen.
Professor Alena Buyx ist vollapprobierte Ärztin mit weiteren Abschlüssen in Philosophie und Soziologie. Sie habilitierte sich 2013. Vor ihrer Ernennung in München war sie Professorin für Medizinethik an der Universität Kiel, Emmy Noether-Gruppen-Leiterin an der Universität Münster, Academic Scholar an der Harvard University, stellvertretende Direktorin des englischen Ethikrats und Senior Fellow am University College London.
Mitgliedschaften (Auswahl)
- Seit 2020 Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, dem sie seit 2016 angehört.
- 2019 WHO Expert Advisory Committee on Developing Global Standards for Governance and Oversight of Human Genome Editing
- 2013 bis 2016 Mitglied in der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO)
- 2009 bis 2012 Stellvertretende Direktorin des englischen Ethikrats (Nuffield Council on Bioethics, London)
- Seit 2011 Fellow of the Royal Society of Arts
- 2013 und 2014 Mitglied im Jungen Kolleg der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste
- Unabhängige Ethik-Beraterin in einer Reihe von Horizon 2020-Forschungskooperationen.
- Co-Direktorin (non-executive) des Zentrums für Solidaritätsforschung der Universität Wien
- Beiratsmitglied der Gesundheitsgespräche Europäisches Forum Alpbach (Österreich)
Professor Dirk Heckmann
Prof. Dr. Dirk Heckmann ist seit Oktober 2019 Inhaber des neu errichteten Lehrstuhls für Recht und Sicherheit der Digitalisierung und seit Juni 2020 Direktor des TUM Center for Digital Public Services an der Technischen Universität München. Von 1996-2019 war er zuvor Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau. 2003 wurde er zum nebenamtlichen Verfassungsrichter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof gewählt, 2007 in den Expertenkreis des Nationalen IT-Gipfels der Bundeskanzlerin und 2018 in die Datenethikkommission der Bundesregierung berufen. Seit 2018 ist er zudem Direktor am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation bidt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen E-Government, Datenschutzrecht, IT-Sicherheitsrecht, Digitale Bildung und E-Health.
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