Sebastian Lotz, Sommersemester 2014
Structural Health Monitoring (SHM) hat das Ziel eine Diagnose über den momentanen Zustand einer Struktur, die aus verschiedenen Komponenten und Materialien besteht, abzuliefern. Strukturen verändern sich stetig durch natürliche Alterungsprozesse, Umwelteinflüsse und auch durch unvorhersehbare Ereignisse wie z.B. Erdbeben oder Windböen. SHM-Methoden stellen den Prozess der Implementierung von Strategien und Techniken zur Schadensdetektion und Schadenscharakterisierung, für die Infrastruktur der Luft- und Raumfahrt, des Bauwesens sowie des Maschinenbaus, dar. [1] Ingenieure und Materialwissenschaftler forschen speziell in den letzten drei Jahrzenten mehr und mehr an Techniken zur Detektion von Schädigungen, da existierende Systeme wie beispielsweise Flugzeuge, Brücken und Gebäude sich immer mehr ihrem vorhergesehenen Auslegungsalter nähern. Aus dem Grund, dass viele dieser Systeme nicht wirtschaftlich ersetzt werden können, etablieren sich Methoden zur Schadensdetektion, um somit den sicheren Betrieb auch über die konstruktiv festgelegte Lebenszeit hinaus zu ermöglich. Regelmäßig erfolgen dynamische Antwortmessungen, um den Zustand der Struktur oder des mechanischen Systems zu überwachen. Der Momentanzustand kann durch die Extrahierung von schadenssensitiven Eigenschaften dieser Messdaten mit anschließender statistischer Analyse bestimmt werden. Langzeitüberwachungen erfolgen durch periodische Anwendung des zuvor beschriebenen Prozesses um zu gewährleisten, dass die Struktur ihre beabsichtige Aufgabe weiterhin ausführen kann. Dies ist wichtig, da nahezu jedes System durch seine operationelle Umwelt unvermeidlich altert und dadurch seine Eigenschaften verschlechtert werden. SHM Methoden werden verwendet, um in Echtzeit zuverlässige Auskunft über die Funktion und Zustand der Struktur zu liefern. [2]
Die ersten Anwendungen des SHM sind bis in das 18. Jahrhundert zurückzuverfolgen: Damals haben die sogenannten „Wheel-Tapper“ mit einem Hammer die Räder der Eisenbahnen untersucht, um Risse in diesen zu erkennen. Allerdings ist die Forschung und Entwicklung von Monitoring-Methoden erst in den letzten 30 Jahren signifikant angestiegen. SHM Techniken zielen darauf ab, bestehende, eher qualitativen Methoden, durch sensitivere, quantifizierbare Methoden zur Schadenserkennung zu ersetzen. Langsam beginnt SHM sich in der Praxis zu etablieren und lässt sich immer mehr auf eine Vielzahl reale, strukturelle und mechanische Systeme anwenden. [2] Dazu gehören (wie von Balageas [1] beschrieben) z.B. schwingungsbasierte Methoden sowie die Implementierung von sog. „Smart Materials“ wie beispielsweise piezoelektrische Sensoren (PZT) und faseroptische Sensoren, die zur Dauerüberwachung oder Anregung von Strukturen dienen. Außerdem werden Ansätze von elektromagnetischen Wellen oder das Ausnutzen der Änderung des elektrischen Widerstandes von Systemen zur Schadensdetektion in der praktischen Anwendung beschrieben. Während der Evolution auf dem Forschungsgebiet der Schadensdetektion haben sich einige Teilbereiche herauskristallisiert, die routinemäßig in der Praxis angewendet werden. Die interdisziplinäre Natur des SHM umfasst folgende Teilbereiche:
SHM ist eine Weiterentwicklung der ZfP und kann folgendermaßen verknüpft werden: [3]
Die Basis Komponenten des SHM, in Anlehnung an Chang [3] |
Speziell hervorzuheben sind die Anwendungen des „Condition Monitoring“. Diese Methoden haben den Übergang von der Theorie zur praktischen Anwendung im Bereich der rotierenden Maschinen schon geschafft. Komplexe Systeme wie Gebäude, Luft- und Raumfahrtstrukturen, Brücken, etc. können mit SHM Methoden teilweise aber noch nicht vollständig als „System“ überwacht werden. [2]
Die Erforschung von Schädigungen in Materialen werden primär von Materialwissenschaftlern und Ingenieuren behandelt. Ansätze zur Lösung der Problemstellung bieten die folgenden Fragenstellungen:
Ingenieure und Materialwissenschaftler werden diese Fragen aus unterschiedlichen Sichtweisen beantworten. Der Fokus im SHM liegt auf den letzten beiden Fragen und unterscheidet sich für Materialwissenschaftler und Ingenieure vor allem in der Größenordnung der Schädigung. [2] Materialwissenschaftler untersuchen die mikroskopische Schadensentstehung, bzw. Schadensausbreitung (z.B. Rissausbreitung an den Korngrenzen, uva.) des Materials, während bei Ingenieuren die Wartung im Vordergrund steht, um den Betrieb z.B. bei Überlastung einzuschränken und damit den Schaden abzuschwächen. Schaden wird definiert als beabsichtigte oder unbeachsichtigte Änderungen des Materials und/oder geometrischen Eigenschaften von strukturellen und mechanischen Systemen, eingeschlossen der Änderungen von Randbedingungen und Systemkonnektivität, welche die momentane oder zukünftige Performance dieser Systeme nachteilig beeinflussen. [2]
SHM definiert den Prozess der Implementierung von Strategien und Techniken zur Schadensdetektion in die Infrastruktur von Luft- und Raumfahrt sowie des Maschinenbaus. Dieser Prozess beinhaltet:
Existierende Methoden basieren zum einen auf mikroskopischer Basis, die ein grundlegendes Verständnis verschiedener Moden des Materialversagens entwickeln. Der makroskopische Schadenslevel der Materialien/Komponenten wird z.B. durch ZfP oder wellenbasierte SHM Methoden untersucht. Untersuchungen des gesamten Systems erfolgen direkt durch Verfahren wie CM, HUMS und viele weitere. Desweiteren werden Methoden zur Schadensvorhersage und Restlebensdauer von Systemen entwickelt, die zusätzlich zum SHM angewendet werden. [2]
Damit ein Schaden eindeutig als solcher definiert werden kann, muss der Systemzustand zu verschiedenen Zeitpunkten verglichen werden. Ein Referenzzustand, idealerweise der ungeschädigte Zustand, wird mit dem Momentanzustand verglichen um die Änderung des Systems zu beobachten. Betrachtet man z.B ein eingestürztes Gebäude ist dies erstmal ein geschädigter Zustand, obwohl zu dem initialen Zustand des Gebäudes keine genauen Informationen vorliegen. [2] Jedoch werden automatisch Erfahrungen aufgerufen, die das rationale Denken aktivieren und sagen, dass das Gebäude eindeutig geschädigt ist. Auf das SHM bezogen, kann „Wissen“ als Daten interpretiert und „Erfahrungen“ mit „lernen“ (Engl. „learning“) assoziiert werden. Diese natürliche Art der Schadensdetektion kann durch verschiedene mathematische Methoden mehr oder weniger exakt beschrieben werden. Für die Anwendung von SHM wird die statistische Art der Mustererkennung als am naheliegendsten gesehen und unter dem Begriff des „statistical pattern recognition“ (SPR) festgehalten. Das Konzept des „Lernens“ mit „Trainingsdaten“ wird mit Hilfe des SPR ausgeführt. Das mathematische Rahmenkonzept für diese Methode liefert das sog. „machine learning“ von Cherkassky und Mulier. [4] Das SPR wird anhand folgender Punkte definiert:
Die Vorgehensweise und Beschreibung der SPR wir im folgenden Abschnitt näher erläutert.
Der Prozess der Operational Evaluation (deutsch: Betriebsdatenauswertung) soll Antworten bezüglich der Implementation von Schadensidentifizierungen liefern. Grundlegende Fragen werden für diese Untersuchungen herangezogen:
Dieser erste Schritt setzt Grenzen bezüglich Abschnitte der Struktur, die überwacht werden sollen und welche Methoden anzuwenden sind. Ideal wäre es schadenssensitive Features der Struktur im inertialen Zustand zu determinieren. Durch eine kontinuierliche Auswerung dieser Daten ist es dann schnell möglich eine Schädigung frühzeitig zu erkennen. [2] Weitere Informationen zu der Vorgehensweise und Beantwortung der Fragen findet man in Farrar. [2]
Data Acquisition (deutsch: Datenerfassung) umschließt die Auswahl der geeigneten Anregungs- und Messmethoden sowie die Soft- und Hardware zur Auswertung und Speicherung der Messdaten. Die Auswahl ist spezifisch und sehr stark vom jeweiligen Anwedungsfall abhängig. Es gibt bisher keine Grundmessausrichtung, mit der jede Struktur gleichermaßen überwacht werden kann. Der Kostenfaktor steht bei der Wahl des Data Acquisition Equipments zur Dauerüberwachung im Vordergrund. Zudem muss je nach Anwendungsfall auch der Intervall, wann Daten gesammelt werden sollen, festgelegt bzw. angepasst werden. Bei einem Erdbeben sollten Daten unmittelbar vor und in periodischen Intervallen nach dem Ergeignis aufgenommen und ausgewertet werden, während dies bei einer Maschine während dem kompletten Betrieb erfolgen sollte. [2]
Die Identifikation von „data features“ (deutsch: Merkmale von Daten) ist das wohl am aufmerksamsten betrachtete Teilgebiet des SHM. Es ermöglicht in vielen Fällen die Unterscheidung zwischen geschädigtem und ungeschädigtem Systemzustand. Um effektiv Features zu extrahieren werden Methoden der Signalverarbeitung verwendet, z.B. die Transformation einer gemessenen Zeitreihe in das Frequenzspektrum. Die Spektrallinien enthalten Informationen über den Systemzustand. Dies wird z.B. bei Getrieben eingesetzt. Ideale Features besitzen eine kleine Dimension und sind sehr sensitiv gegenüber Veränderungen des Systemzustandes. Eine andere Möglichkeit ist es, ein reales oder auf Messdaten basiertes, parametrisches Modell eines Systems zu erstellen. Diese Parameter oder vorhersagbaren Fehler dieser Modellen werden zu den schadenssensitiven Merkmalen. Vor allem die Normierung der Daten ist hier wichtig, da jede Messung unter verschiedenen Einflüssen stattfindet und somit die Vergleichbarkeit gewährleistet wird. [2]
Die Entwicklung statistischer Modelle werden aus den „machine learning“-Techniken abgeleitet, die in zwei Kategorien einzuteilen sind:
Die meist verwendeten Modelle im SHM können je nach Art der vorliegenden Daten, den zuvor genannten „machine learning“-Gruppen zugeordnet werden. Ein Algorithmus des „supervised learning“ ist die „group classification“, die eine Aussage über eine gewisse Anzahl diskreter Zustände trifft und die Kondition der Struktur am genausten beschreibt. Die „regression analysis“ gibt den gegenwärtigen Zustand durch eine kontinuierliche Quantifikation des Systems wieder. Als Beispiel für das „unsupervised learning“ kann die Methode der „identification of outliers” genannt werden. [5] Es handelt sich um einen fünfstufigen Prozess, um die Identifizierung des Schadenszustandes nach Rytter [6] zu organisieren. Dieser lässt sich durch die folgenden fünf Fragen leiten:
Zur Implementierung von zwei Arten des SHM werden diese statistischen Modelle verwendet. Das erste Modell ist das „protective monitoring“. Es verwendet schadenssensitive Features um das System zu überwachen. Sobald die Features vorher festgelegte Grenzwerte überschreiten, führt dies z.B. zu einem Abschalten des Systems bevor (weitere) Schädigungen eintreten. Das zweite Modell ist das „predictive monitoring“ und beobachtet Trends in Daten-Features und verwendet diese, um zu prognostizieren wann möglicherweise kritischere Schäden auftreten (Stichwort: Wartungsplanerstellung). [2] Die Methoden „Data Acquisition“, „Feature Extraction“ und „Statistical Model Development for Feature Discrimination“ des SPR benötigen wichtige Hilfsmittlel zur Datenverarbeitung. Diese werden wie folgt definiert:
Lokale Methoden zur Schadenserkennung beschränken sich auf eine relativ kleine Umgebung auf/im Bauteil. Es werden Verfahren angewendet, die auch aus der ZfP schon bekannt sind, z.B. Wirbelstrom, Ausbreitung von Ultraschallwellen oder Magnetfelder. Die Anwendung von Ultraschallwellen wird sehr oft im Kontext mit „guided waves“ zusammengebracht, die mit Hilfe von Sensoren/Aktuatoren in die Struktur eingeleitet werden. Bei dieser Anwendung im Nahfeld des plazierten Sensors erschweren Reflektionen der Wellen an Bauteilgrenzen oder anderen Diskontinuitäten (Dickenänderung, Löcher, ...) die Schadensidentifikation. Lokale Methoden sind sehr sensitiv und ermöglichen es auch kleine Fehler zu identifizieren. Schädigungen im Material können z.B. die lokale Steifigkeit reduzieren, die damit das globale Verhalten der Struktur in Zeit und Raum verändern. Diesen Effekt nutzen globale Verfahren ebenfalls, sind aber nicht so sensitiv wie lokale Verfahren. Sie basieren auf niederfrequenten Schwingungen, mit denen das gesamte System überwacht werden kann. Dabei wird beispielsweise auf Änderungen in den Resonanzfrequenzen, der Dämpfung oder den Schwingungsmoden geschaut, die dann als Merkmal (möglichst schadenssensitiv!) extrahiert werden. Damit soll zwischen geschädigtem und ungeschädigtem Zustand unterschieden werden. Zur vollständigen Sytemüberwachung kommen oft Kombinationen aus lokalen und globalen Methoden zum Einsatz. [1]
Die letzten 30 Jahre der Forschung auf dem Gebiet des SHM haben eine Vielzahl sehr guter Erkenntnisse geliefert. Daraus lassen sich fundamentalen Axiome formulieren, die allerdings nicht mit denen aus der Mathematik zu vergleichen sind. Sie stellen vielmehr allgemeine akzeptierte Prinzipien dar und repräsentieren fundamentale Ansätze einer jeden SHM Methodologie. Die Axiome lassen sich folgendermaßen formulieren:
Diese Axiome sind in Structural Health Monitoring - A Machine Learning Perspective definiert und ausführlich beschrieben. [2]
Die folgenden grundlegenden SHM-Komponenten unterscheiden sich für unterschiedliche Anwendungsfälle kaum. Sie dienen als eine Übersicht über die grundlegenden Bestandteile eines Systems zur Dauerüberwachung:
Sensorsysteme werden auf Strukturen wie z.B. Satelliten, Brücken, Flugzeuge, etc. zur Dauerüberwachung installiert. Aufgenommene Messdaten werden z.B. nach dem Verfahren des „Statistical Pattern Recognition“ (deutsch: statistische Mustererkennung) ausgewertet und verarbeitet, um eine Überwachung der Struktur in Echtzeit („real-time“) durchzuführen.