Stefan Eibl, Sommersemester 2015


Durch die Diffraktometrie (Streuung) von elektromagnetischen Wellen an den Atomen von homogenen Materialen wird der Gitterabstand der Atome berechnet. Hieraus kann auf den Dehnungszustand des Materials geschlossen werden und eine Relation zu den internen Spannungen hergestellt werden.

Einleitung

Bei der Herstellung von Bauteilen jeglicher Art wird heutzutage immer mehr auf effiziente Ausnutzung der Materialeigenschaften Wert gelegt. Hierbei wird das Bauteil bis an die Belastungsgrenzen gebracht. Durch die Verformung und Belastung bei der Herstellung und im Betrieb treten im Bauteil Spannungen auf, die vorteilhaft oder nachteilig für die Stabilität sein können. Durch die Ermittlung des Spannungszustandes im Material kann hierüber Sicherheit gewonnen werden. Bei Glasscheiben kann z.B. eine Kontrolle auf korrekten Eigenspannungszustand durchgeführt werden. Dieser ist ausschlaggebend für das Bruchbild, wie z.B. viele kleine stumpfe Bruchstücke bei Einscheibensicherheitsglas.

Physikalische Grundlagen

Die elektromagnetische Welle tritt in einem weiten Spektrum der Wellenlänge auf. Für die im Folgenden beschriebene Anwendung wird monochromatische Strahlung verwendet, weil die beobachteten Effekte wellenlängenabhängig sind, siehe Abschnitt 2.2, und ein Zusammenhang zwischen der Wellenlänge und der Eindringtiefe in ein Material besteht.

Ausbreitung der Strahlung im Material

Allgemein wird die Intensitätsabnahme durch die folgende beschrieben.

I(x)=I_0e^{-µ(λ)x}

μ(λ) ist der Schwächungskoeffizient des Materials in Abhängigkeit von der Wellenlänge. Dieser ist in Tabellenwerken für chemische Elemente als Massenschwächungskoeffizient μ(λ)/ρ auf die Dichte ρ bezogen zu finden. Einen kleinen Auszug zeigt Tabelle 1.

Tabelle 1: Massenschwächungskoeffizienten für verschiedene Materialien [1]

MetallDichte [kg/m³]μ(λ)/ρ (λ=0,711Å)μ(λ)/ρ (λ=1,542Å)
Aluminium2,705,3048,7
Eisen7,8738,3324
Kupfer8,9649,752,7

Diese Eigenschaft führt dazu, dass Röntgenstrahlung nur einige 10 µm in Metalle eindringen kann.

Als Alternative kann Neutronenstrahlung verwendet werden. Sie kann einige cm weit in ein Metall eindringen und bietet dementsprechend die Möglichkeit für die Messung in oberflächennahen oder -fernen Bereichen.

Tabelle 2 zeigt für Neutronen (λ=0,108 nm) und Röntgenstrahlen (λ=0,154 nm) die Eindringtiefe, bei der sich die Intensität der Strahlung halbiert hat.

Tabelle 2: Angaben der Halbwertstiefe [2]

Elementt_(1⁄2) (Röntgenstrahlung) [mm]t_(1⁄2) (Neutronenstrahlung) [mm]
Aluminium0,053071,0
Eisen0,007615,9
Titan0,00276,1

Streuung an den Atomen

Weitere Grundlage ist die Interaktion von Strahlung mit Atomen durch Reflexion, Absorption und Emission. Hier hat nur die Reflexion in kristallinen Körpern Bedeutung, wie Abbildung 1 darstellt.

Abbildung 1: Reflexion von monochromatischer elektromagnetischer Strahlung an einem unbelasteten/belasteten Kristallgitter


Bei der Erfüllung der Bragg Gleichung, siehe Formel , tritt durch konstruktive Interferenz ein Intensitätsmaximum für jede Ordnung n = 1,2… auf. Der Winkel Θ [°] unter dem dieses Maximum Auftritt ist abhängig von der Wellenlänge λ [nm] und von dem Gitterebenenabstand d [nm] und somit von dem Spannungszustand, der in dem Kristallgitter herrscht.

nλ=2d sinΘ

In Realität geschieht es nur selten, dass der Strahleneintritt und die Gitterausrichtung im Material der Abbildung 1 entspricht. Die Gitterebenen können im Material unterschiedlich orientiert sein, wie es Abbildung 2 zeigt. Wird ein so orientiertes Kristallgitter von einer horizontalen Kraft deformiert, so besteht ein zweidimensionaler Zusammenhang zwischen dem berechneten Gitterebenenabstand und der Materialdehnung. Allgemein müssen die Formeln für die Ermittlung der Dehnung und Spannung in allen drei Raumdimensionen aufgestellt werden. Auch die Winkel zwischen Material und einfallendem Strahl sind relevant für die Berechnung.

Abbildung 2: Reflexion von monochromatischer elektromagnetischer Strahlung an einem belasteten gedrehten Kristallgitter


An dieser Stelle wird die Dehnungs- und Spannungsberechnung auf den idealen Fall aus Abbildung 1 dargestellt. Für Ausführungen der dreidimensionalen Betrachtung sei auf die entsprechende Fachliteratur, wie z.B. [1], verwiesen.

Dehnungsberechnung

Unter der Annahme von kleinen Deformationen wird die Ingenieursdehnung ε_In [dimensionslos] nach folgender Formel verwendet. Wobei d_0 [nm] der Gitterebenenabstand im nicht deformierten Zustand ist. Er kann experimentell ermittelt werden oder der Fachliteratur entnommen werden.

ε_{ln}=\dfrac{d-d_0}{d_0}

Hinweis: Der berechnete Wert ist ein Mittelwert über alle Atome, an denen der Strahl gestreut wurde. Je kleiner der Strahldurchmesser ist, desto feiner ist die Auflösung.

Zusammenhang Spannung Dehnung

Über den Zusammenhang des Hooke`schen Gesetzes, kann daraus mit dem Elastizitätsmodul E [MPa] die Spannung σ [MPa] im einachsigen Spannungszustand berechnet werden.

σ=E\cdotε_{ln}

Prinzipielles Vorgehen

Abbildung 3 zeigt den schematischen Aufbau für die Ermittlung des Streuwinkels. Eine elektromagnetische Welle wird unter einem definierten Winkel auf das Testobjekt gerichtet. Der Detektor wird kreisförmig um die Probe bewegt, wobei der Probenkörper mit der halben Winkelgeschwindigkeit des Detektors gedreht wird, damit Ein- und Ausfallswinkel relativ zur Probenoberfläche gleich groß sind. Der Detektor erfasst die Strahlungsintensität zu diskreten Winkeln 2Θ. Der Detektor kann auch aus einem ortssensitiven feststehenden Sensor vergleichbar zu einem Fotochip bestehen, wodurch auch die Zeitkomponente erfasst werden kann.

Abbildung 3: Messaufbau

Es entsteht ein Diagramm vergleichbar mit Abbildung 4. Für die Intensitätsmaxima kann nun die Dehnung und Spannung berechnet werden.

Abbildung 4: Beispielhaftes Messwertdiagramm

Ist die zeitliche Abfolge der Maxima bekannt, können Rückschlüsse auf die Tiefenposition in den Gitterebenen gezogen werden. Ansonsten kann durch einen beweglichen Spalt die Strahlung gefiltert werden, sodass der Zusammenhang zur Tiefenposition hergestellt ist. In Abbildung 5 wird schematisch die Messung für den schraffierten Bereich dargestellt.

Abbildung 5: Messung an definierter Tiefenposition

Die Messung kann im Allgemeinen nur für elastische Dehnungen stattfinden. Dies ist zu Erklären mit dem Abgleiten der Gitterebenen bei plastischer Dehnung. Hierbei verschieben sich die Gitterebenen zueinander, sodass danach eine dem Anfang vergleichbare Atomanordnung herrscht. Eine Verzerrung des Gitters findet nur in der Makroeben statt.

Prinzipiell wird das Verfahren bei homogenen Stoffen verwendet. Unter Umständen ist jedoch auch die Untersuchung von Verbundwerkstoffen möglich, wenn die Materialstrukturen eine Unterscheidung der Messsignale ermöglichen.

Messgeräte

Röntgendiffraktiometer

Verwendung von Röntgenstrahlen

Vorteile + teilweise auch mobile Anwendung + moderater Aufwand für Sicherheitseinrichtung

Nachteile - Messung nur in Oberflächennähe (für Metalle)

Neutronendiffraktometer

Verwendung von Neutronenstrahlen

Vorteile + Messung in nahezu beliebiger Tiefe (in kristallinen Materialien) + In situ Messung möglich

Nachteile - ortsgebunden an Neutronenquelle (z.B. Forschungsreaktor in Garching) - umfangreiche Sicherheitseinrichtung notwendig - Dekontaminationszeit für Proben notwendig

Polariskop

z.B.:Polariscope SCALP-04 [3]

Verwendung von Laserstrahlung im für das Menschliche Auge sichtbaren Bereich

Vorteile + Messung in nahezu beliebiger Tiefe (in Glasscheiben) + einfacher Messaufbau + mobile Anwendung + keine Sicherheitseinrichtung notwendig

Nachteile - nur für optisch transparente Materialien wie Glas

Literatur

  • Eigenmann, B., Macherauch, E.: Röntgenographische Untersuchung von Spannungszuständen in Werkstoffen Teil 1, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim (1995), Mat.-wiss. U. Werkstofftech. 26, p. 148-160.
  • Eigenmann, B., Macherauch, E.: Röntgenographische Untersuchung von Spannungszuständen in Werkstoffen Teil 2, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Weinheim (1995), Mat.-wiss. U. Werkstofftech. 26, p. 199-216.

Einzelnachweise

  1. Noyan, I.C., Cohen, J.B.: Residual Stress. Springer publ., Heidelberg (1987), p. 75, 82-98, 111-137.
  2. Prask, H.J., Choi, C.S.: Residual Stress Characterization in Technological Samples, Practical Applications of Residual Stress Technology, Conference Proceedings, Indianapolis, Indiana, USA, 1991
  3. http://www.glasstress.com/ (24.08.2015)