Was ist ein Berufungsverfahren?
Wenn sich die Universität entscheidet eine neue Professur auszuschreiben, oder eine Professur aus Altersgründen ausläuft, wird ein Berufungsverfahren begonnen. Dazu wird eine Berufungskommission zusammengestellt, welche diesen Prozess leitet und nach ihren Möglichkeiten unterstützt. Glückwunsch! mit größter Wahrscheinlichkeit bist du - lieber Leser - Teil einer solchen Kommission! In den folgenden Zeilen wird erklärt: Die Zusammensetzung der Berufungskommission; Die Bewerberlisten; ein beispielhafter Ablauf einer Kommission; die Rollen die die studentischen Mitglieder übernehmen und zur Klassifizierung der Professuren an der TUM.
Zusammensetzung der Berufungskommission
Die Zusammensetzung der Berufungskommission ist für den Erfolg des Berufungsverfahrens von entscheidender Bedeutung. Der Berufungsausschuss besteht aus bis zu neun stimmberechtigten Mitgliedern, welche sorgfältig vorab ausgewählt und vom School Council beschlossen werden. Aufgabe der Kommission ist die Auswahl der Berufungskandidaten – das Kernstück eines Berufungsverfahrens – darüber hinaus aber auch die proaktive internationale Suche nach geeigneten Kandidaten für anstehende und geplante Berufungen. Es kommt daher wesentlich auf die Erfahrung, Zielstrebigkeit und Arbeitsweise des Kommissionsvorsitzenden an.
Zusammensetzung der Berufungskommission:
- ein Professor als Vorsitzender (bewertet Fach-/ Strukturkompetenz, leitet das Verfahren),
- bis zu vier fachlich ausgewiesene Professoren der TUM (Fachkompetenz),
- ein fachlich ausgewiesener Professor einer anderen Fakultät der TUM (Fachkompetenz),
- ein fachlich ausgewiesener Professor einer anderen Universität (Fachkompetenz),
- ein wissenschaftlicher Mitarbeiter (Personalführungskompetenz),
- ein Studierendenvertreter mit Stimmrecht zzgl. ein Studierendenvertreter ohne Stimmrecht (Akzeptanz in der Lehre),
- der/die Fakultäts-Frauenbeauftragte der federführenden Fakultät (Diversity-Kompetenz).
Desweiteren ist zu beachten:
Die Professoren müssen die Mehrheit der Mitglieder stellen.
Mindestens zwei Mitglieder einer Berufungskommission müssen Professorinnen sein; in besonderen Fällen kann ein professorales Mitglied mit Diversity-Kompetenz eine Professorin ersetzen
Alle Mitglieder sind namentlich zu benennen
Bis zu zwei Studierende können als Mitglied der Berufungskommission sein, aber auch als Gäste ohne Stimmrecht teilnehmen
Der Berufungskommission können weitere Mitglieder ohne Stimmrecht angehören (z.B. Vertreter von Zuwendungsgebern)
Mitglieder des TUM Appointment and Tenure Board können nicht Mitglied einer Berufungskommission zur Besetzung einer Tenure Track Assistant Professorship sein
Die Bewerberlisten
Nach der Ausschreibung kommen die Bewerbungsunterlagen. Die Fakultät sortiert die Unterlagen vor und 2 Kategorien stechen heraus:
- Faculty Screening List
Wenn die Fakultät eine Stelle ausschreiben will, muss sie eine Liste potentieller Kandidaten geben (heißt: Kann sich die Fakultät überhaupt vorstellen, dass es jemanden gibt, der passt). Das ist die „Faculty Screening List“. Kriterien sind, dass die Kandidaten geeignet sind und gewinnbar sind. Die Personen auf der Faculty Screening List werden auch aktiv zur Bewerbung aufgefordert. - Vorgeschlagen von Headhunting Agency XYZ
Um sicherzustellen, dass die Anforderungen des Hochschulpräsidiums direkt von Anfang an erfüllt sind (damit Verfahren schnell abgewickelt werden können), werden Berufungsprozesse inzwischen oft von einer Headhunting Agency begleitet. Bewerber, die von der Headhunting Agency für geeignet gehalten werden, werden auch zur Bewerbung aufgefordert.
Diese Notizen sollen nicht beeinflussen, wie die Eignung der Personen innerhalb der Kommission eingeschätzt wird.
Wie läuft es ab? - Schritt für Schritt
Vorbereitung
Die Fakultät/Uni entscheidet, dass eine Stelle besetzt werden soll. Dann wird (meistens durch einen fachnahen Professor) ein Ausschreibungstext erstellt. Dieser geht an das STMWK des Freistaates Bayern und bleibt dort zwischen einigen Stunden bis hin zu einigen Monaten liegen. Es werden Mitglieder für eine Berufungskommission gesucht. Wenn du diesen Text liest, bist du vermutlich (zukünftiges) Mitglied einer solchen Kommission.
Warten
Je nachdem wie lange die Ausschreibung beim STMWK liegt, passiert erstmal nichts.
Ausschreibung
Die Stelle wird in Journals, Zeitungen, auf der Fakultätswebsite, wo-auch-immer ausgeschrieben, vor allem auch international. Es gibt i.d.R. eine erste Deadline für den Bewerbungsschluss. Dann werden die Bewerbungen von der Fakultätsverwaltung aufbereitet und an die Mitglieder der Kommission weitergeleitet. Je nach Stelle und Beliebtheit können das unter 10 oder auch über 30 Bewerbungen sein. Jede kann zwischen 10 und 100 Seiten lang sein, da in der Regel neben Anschreiben und Lebenslauf auch Research + Teaching Statement angehängt werden, eine Liste der Publikationen, ggf. mit Auszug (von 3 Publikationen), eine Liste der gehaltenen Lehrveranstaltungen, Lehrevaluationen, Zeugnisse und Bescheinigungen und was es sonst noch gibt. Jemand, der sich auf eine W3-Full Professorship bewirbt, ist vielleicht schon Professor und hat dementsprechend viel geleistet.
Sichtung: Die Bewerbungsunterlagen müssen gelesen werden, i.d.R. alle (außer die, die an sich schon schlecht sind, weil z.B. viele Dokumente fehlen oder der Kandidat/die Kandidatin offensichtlich nicht qualifiziert ist). Wie die Forschung des Kandidaten dabei ist, ist aus studentischer Sicht oft zweitrangig. Wichtig sind: Teaching Statement (ob vorhanden und ob gut), Lehrevaluationen (wenn sie dabei sind ist es immer gut), genereller Eindruck. Im Prinzip sollte man sich immer die Fragen stellen: „Würde ich mir diese Person als Professor wünschen? Wie ist es bei Masterarbeiten? Kann die Person etwas für die Lehre bei uns tun?“
Einladung
Dann kommen i.d.R. die ersten Kommissionssitzungen und man lernt die anderen kennen. Oft kommen sehr spannende Konstellationen raus (z.B. ein Informatik-Professor als Vorsitz für eine Raumfahrtprofessur). Das liegt zum einen an der begrenzten Verfügbarkeit von Mitgliedern (jede Kommission frisst Zeit) und Befangenheit. Insbesondere in Nischenfächern ist die wissenschaftliche Community nicht besonders groß und jeder hat schon einmal mit jedem zusammengearbeitet. Hier werden dann diejenigen aussortiert, die überhaupt nicht passen. Diejenigen, die passen könnten, werden in die nächste Runde eingeladen. Regeln für Befangenheit:
Verwandtschaft ersten Grades, Ehe, Lebenspartnerschaft, eheähnliche Gemeinschaft
Unmittelbare wissenschaftliche Konkurrenzsituation
Eigene wirtschaftliche Interessen an der Entscheidung über die Evaluation bzw. Berufung
Dienstliche Abhängigkeit oder Betreuungsverhältnis (z.B. Lehrer-Schüler-Verhältnis bis einschließlich Postdoc-Phase) bis zu 6 Jahren nach Beendigung des unmittelbaren Verhältnisses
Laufende oder aktuell geplante wissenschaftliche Kooperationen mit dem Kandidaten
Beteiligung als Kandidat oder externes Mitglied einer Berufungskommission an laufenden oder innerhalb der letzten 12 Monate abgeschlossenen Berufungsverfahren der Fakultät des Bewerbers
Vorträge
Die Kandidaten kommen an die TUM (real oder digital) und halten öffentliche Vorträge. Wie die Vorträge ausgestaltet werden, ist der Kommission freigestellt. In der Regel gibt es einen Fachvortrag + Fragen, einen Lehrvortrag + Fragen und dann die Interviews.
Interviews: In geschlossener Runde stellen die Kommissionsmitglieder den Kandidaten Fragen. Wie ein Bewerbungsgespräch mit einer Gruppe. Hier kann alles unter der Sonne gefragt werden. Zusätzlich gibt es in der Regel ein studentisches Interview, in dem gezielt noch die Lehreignung geprüft werden soll. Dafür gibt es bisher 3 Modi, die sich bewährt haben
Sequentiell: Erst die Vorträge, dann die Interviews, in dieser Reihenfolge, für jeden Kandidaten. Das führt dazu, dass die anderen Mitglieder i.d.R. etwas warten müssen.
Sequentiell-getrennt: Die studentischen Interviews werden vor dem eigentlichen Vortragstermin gehalten. Dadurch werden die Vortragstage verkürzt und gleichzeitig haben alle studentischen Mitglieder die Möglichkeit, alles mitzubekommen. Wenn die Kandidaten extra anreisen müssten, wäre das viel Logistik, aber durch die Verwendung von Zoom ist diese Möglichkeit sehr einfach umzusetzen.
Parallel: Ein studentisches Mitglied führt Interviews, während ein anderes sich die Vorträge anhört und umgekehrt. Das ist vor allem für Termine in persona hilfreich, da die Kandidaten dann nicht noch extra anreisen müssten.
Es ist sehr sinnvoll, wenn nicht nur die studentischen Vertreter im Lehr-Vortrag sitzen. Lehrvorträge und Fachvorträge gleichzeitig abzuhalten ist eher abzulehnen.
Zusammenfassung
Nachdem alle Vorträge und Interviews gelaufen sind, trifft sich die Kommission (direkt im Anschluss) und bespricht die Ergebnisse. Dann wird entschieden, zu welchen Kandidaten Gutachten eingeholt werden sollen. Das sind in der Regel alle, bei denen man sich zumindest irgendwie vorstellen kann, diese Person zu berufen. Schlaue Kommissionsvorsitzende haben schon vor diesem Treffen nach Gutachtern gefragt - insbesondere in weniger fachnahen Kommissionen kommt man ansonsten ins Schwimmen. Alles verschiebt sich etwas.
Warten: Die Gutachten werden eingeholt. Das dauert in der Regel zwischen 4 und 6 Wochen.
Berufungsliste
Am Ende wird alles ausgewertet und eine Liste wird erstellt: Platz 1, 2 und 3. In dieser Reihenfolge verhandelt das Hochschulpräsidium (hoffentlich) mit den Kandidaten. Allerdings hat der Präsident die Freiheit, eine beliebige Person von der Liste zu nehmen oder den Berufungsvorschlag als Ganzes zurückzugeben (also das Verfahren neu aufzurollen). Wenn zwei Personen in etwa gleich gut geeignet sind, dann können sie zusammen auf einen Listenplatz gesetzt werden, als „aequo loco“ (lat. Gleicher Platz).
Papierkram
Es werden folgende Berichte geschrieben:
- Kommissionsbericht - i.d.R. vom Vorsitz, unterschrieben von allen Mitgliedern. Während digitaler Treffen mit digitaler Unterschrift.
- Studentisches Gutachten - Lehrgutachten der beiden Studivertreter, dazu gibt es auf Anfrage eine Vorlage bei der Leitung.
- Stellungnahme und Checkliste des Studiendekans - hier gibt es oft ein wenig Absprache zwischen Studiendekan und Studis, da der Studiendekan theoretisch in jeder Berufung sitzt - was aber bei der LRG praktisch nicht machbar ist.
- Stellungnahme der Frauenbeauftragten
Warten
Das HSP verhandelt und verhandelt und verhandelt. Dies kann sich eine ganze Weile ziehen.
Finish
Kommen die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis, wächst der Lehrkörper und die Berufungskommission ist fertig.
Sonstige Erklärungen
Studentische Mitglieder in der Kommission
Studenten treten normalerweise in einem Zweierteam an. Dabei ist einer offiziell das stimmberechtigte Mitglied und die andere Person beratend anwesend. Optimalerweise entscheidet ihr natürlich trotzdem zusammen! Das Ziel: Die pädagogische Eignung der Kandidaten bewerten. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten:
Studentisches Interview
Im Prinzip ein Bewerbungsgespräch. Wie stellen Sie sich Lehre vor, welche Vorlesungen haben Sie geplant, etc. Um das Ganze etwas zu vereinfachen, gibt es einen wachsenden Fragenkatalog, der auf der entsprechenden Unterseite im Wiki zu finden ist. An den muss sich nicht direkt gehalten werden, aber es ist schonmal ein erster Anlauf.
Fachvortrag
Ein etwas längerer Vortrag (~45 min) über ein Forschungsthema des Kandidaten. Das Thema ist i.d.R. freigestellt. Dann gibt es einige Fragen.
Lehrvortrag
Ein Vortrag, der explizit als Probe-Vorlesung gehalten wird. Hier soll geprüft werden, wie gut der Wissen vermittelt werden kann. Das Thema wird i.d.R. von der Kommission vorgegeben, um alle Bewerber:innen gleich zu fordern. Ideal sind Themen, die nicht im Blickfeld der Professur liegen.
Kommissionsinterview
Die Kommission stellt in geschlossener Runde Fragen, sowohl fachlich (was meinen Sie zu Thema X im Vortrag, als auch persönlich „Wären Sie bereit, mit Familie/Kindern/Hunden/Goldfischen nach München zu ziehen“?)
Bewerbungsunterlagen
Die Unterlagen geben einen ersten Einblick in eine Person. Insbesondere Teaching Statement und Lehrevaluationen können dabei helfen, aber auch der Gesamteindruck kann gerne herangezogen werden.
Um diese Bewertung erfassen zu können, sollten die Studierenden Gespräche mit den eingeladenen Kandidaten führen, dessen Vorträge evaluieren und dessen Lehrlaufbahn bewerten. Am Ende muss eine Stellungnahme zu den Top drei bis vier Kandidaten für die ausgeschriebene Stelle erfasst werden und bei der Kommission abgegeben werden. Während des ganzen Berufungsverfahren muss man als ein Mitglied in der Berfungskommission, mit internen und externen Professoren zusammenarbeiten und häufig auch mit ihnen diskutieren.
Rang der Ausschreibung/Professur
Generell gibt es 3 Arten von Professoren:
-Tenure Track Assistant Professor: Jemand wird auf Zeit berufen. Nach 6 Jahren wird entschieden, ob die Professur zu einer W3-Associate Professorship aufsteigt oder der Professor gehen muss.
-W3 Associate Professor: Diese Professoren haben keinen eigenen Lehrstuhl, sondern sind einem weiteren Lehrstuhl angegliedert (z.B. Prof. Haidn, der am Lehrstuhl für Turbomaschinen und Flugantriebe von Prof. Gümmer hängt)
-W3 Full Professor: Ein eigener Lehrstuhl mit allem, was dazu gehört.
Um zu entscheiden, welche Art von Professur ausgeschrieben wird, gibt es mehrere Möglichkeiten:
-Open Rank: Man kann sich auf alle 3 Stufen bewerben. Es wird im Rahmen der Kommission entschieden, welche Stelle es wird.
Direkte Ausschreibung der Stelle.
Leuchtturm-Verfahren: Bei einem Leuchtturm-Verfahren gibt es ein Berufungsverfahren mit einem Bewerber: Einem so herausstehenden Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin, dass diese Person auf jeden Fall an die TUM berufen werden soll.
Welche Vorteile hat man davon mitzumachen?
-Kennenlernen der Professoren in der Berufungskommission
-Mitwirken in der Auswahl eines neuen Professors an unserer Fakultät
-Hinter den Kulissen der Fakultät einen Einblick bekommen
-Den Prozess einer wissenschaftlichen Bewerbung kennenlernen
-Einige sehr interessante Vorträge hören